
Beleuchtung der Kehrseite
Wie zeitnahe legt man sich mit seinen künstlerischen Inhalten an Ereignisse? Soll man überhaupt reagieren?
Parallelhandlung: Der Himmel wird leer. Das Undenkbare wird nicht nur gedacht sondern möglich. Die Reaktion auf ein Virus verändert innerhalb weniger Wochen unser gesamtes gewohntes Gefüge. Keine Flugzeuge am Himmel, keine Fahrt zur Arbeit.
Kurz nach dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 die Umkehrung Kafkas: Aus dem Schloss wird ein open call ausgesendet. Die OÖ KulturGmbH (sic!) ruft zu einer Summer Exhibition ins Linzer Schloss, nimmt Bezug auf die Royal Academy in London, auf deren Summer Exhibitions. Das Format ist eine blitzschnelle Reaktion auf die Ereignisse.
Der Stachel dabei: Der Call im April verlangt Arbeiten die in diesem Jahr (2020) entstanden sind, nimmt aber bewusst keinen Bezug auf die Pandemie. Es scheint jedoch klar, dass man diesen Bezug will und über die zeitliche Dimension einfordert. Berichte über das Virus haben erst im Jänner eine breitere Öffentlichkeit erreicht, Ende Februar kommt es umfassend in Österreich an.
Man reagiert immer
Künstlerische Arbeit ist sehr aufwendig. Das eigene Empfinden fließt in die Bilder. Von der Kamera bis zur Wand, an welcher das Bild ausgestellt ist liegt oft ein weiter Weg. Man erkennt was einem in der Welt wichtig ist und setzt sich automatisch damit auseinander. Es gibt kein nicht-reagieren – selbst wenn ich keine Bilder mache die explizit Corona zum Inhalt haben.
Es kommt zum Entschluss ›Die Kehrseite‹ zu formulieren. Die eingereichten Aufnahmen zeigen Pakete, jedoch lediglich ihre Kehrseite. Natürlich hat diese Arbeit eine stark symbolisch/philosophische Komponente. In einem Pandemie-Kontext gestellt, ist die Frage was ist eigentlich die Kehrseite der Pandemie? Die Pandemie wird negativ rezensiert, also muss die Kehrseite positiv sein. Die Betrachter*in kann genau danach fragen.
Es wird aber auch das Thema Datenschutz thematisiert. Die Betrachter erfahren nicht von wo die Pakete kommen, nicht wer die Empfänger sind. Im Zuge der Pandemie gerät der Datenschutz weiter unter Druck. Zum Beispiel werden die Bewegungsdaten der österreichischen MobiltelefonnutzerInnen ohne nennenswerten Diskurs an die Regierung übertragen um nur ein Beispiel zu nennen. Also eine weitere Kehrseite. In dieser Arbeit bleiben Daten von Sender und Empfänger bewusst verborgen.
Wann entsteht ein Werk eigentlich?
Noch eine Komponente wird anhand dieser Ausstellungsteilnahme diskutiert: Wann entsteht ein Werk, was ist sein Entstehungszeitpunkt? Ist es die ein Hundertstel Sekunde der Aufnahme? Ist es jener Augenblick als ich unter der Dusche stehe und die Idee dazu habe? Oder ist es ein ganzer Zeitraum.
Nun gebe ich preis, es sind Pakete die sämtlich an mich adressiert waren. Pakete aus dem Versandhandel, der ja in der Pandemie eine neue Bedeutung gewonnen hat, die uns strukturell noch lange beschäftigen wird. Jedoch stammt keine einzige Aufnahme aus dem Jahr 2020, alle sind vorher entstanden, manche lange vorher. Sie ruhten einfach in meinem Fundus. Verletzte ich hier die Bedingungen der Ausschreibung?
Ich habe beschlossen, ich datiere die Aufnahme mit jenem Augenblick unter der Dusche. Also mit jener kurzen Zeitspanne in der mir klar wurde, wie ich auf die Ausschreibung und ihre implizite Thematisierung der Pandemie reagieren möchte. Jenen Augenblick also wo mir klar wurde, dass ich hier strukturellen Wandel, Datenschutz, den leeren Himmel, die Frage nach dem Entstehungszeitpunktes eines Kunstwerkes elegant verpacken kann. Freilich öffnet sich vieles aus diesem Paket erst nach und nach.
Die ausgestellten Arbeiten aus der Serie Kehrseite wurden vom Land Oberösterreich angekauft.