Fernverkehr
Etwas ist bis jetzt in meinem Blog zu kurz gekommen und das sind natürlich die Fernfahrer sowie der Fernverkehr. Sagen wir lieber der Schwerverkehr, denn der Fernste aller Fernfahrer der E75 bin natürlich ich selbst. Ich habe noch keinen getroffen, der sagte „Vardø, ja klar Vardø – das ist das Ziel meiner Fuhr“, auch auf Kreta nicht. Ich glaube mittlerweile, dass ich der erste Mensch überhaupt bin, der die E75 von Anfang bis Ende gefahren sein wird! Ein bemerkenswerter Rekord!
Bis Nis, Serbien, war wenig Verkehr. Dort trifft die E75 auf die E80, kommend von Gürbulak. Für weniger gut informierte Leser: Das ist an der iranischen Grenze. Und mit der E80 kommen die türkischen Lastwagen. An den Parkplätzen beobachte ich Tee-Zeremonialien, die mich sehr beeindrucken.
Um der Sache näher zu kommen, übernachte ich schließlich in Ungarn auf einem Rastplatz für Fernfahrer. Nur wenige Meter neben einer Autobahnabfahrt der E75 liegt ein Pavillon, umringt von einer riesigen Parkfläche, also Fläche zum Parken. Im Pavillon ist ein Restaurant, ein kleines Geschäft, WC und Duschen. Ich probiere alles aus. Es gibt keine Zimmer, die Führerhäuser der Lastwägen sind perfekt ausgerüstet. Die Sitze kann man nach vorne klappen, die Sat-Schüsseln nach außen. Bett, Vorhänge, alles ist vorhanden. Ich übernachte ebenfalls im Auto, wenngleich ohne Sat Empfang.
Das Teilstück Danzig-Helsinki wurde einst per Fähre erschlossen. Diese Fährverbindung ist seit Längerem eingestellt, dieses Teilstück der E75 gibt es so nicht mehr. Für den Frachtbetrieb lauft eine Schiffsverbindung vom nahegelegenen Gdynia nach Hanko, etwas außerhalb von Helsinki. Das ist die beste Annäherung, ich beschließe also ihr zu folgen. Doch das hat seine Tücken, die feine Unterscheidung zwischen Fernfahrer und Schwerverkehr kommt erneut zum Tragen. Das Frachtschiff bietet neben der Fracht nur Platz für 13 Fahrer. Der ist natürlich den Berufsfahrern vorbehalten. Trotzdem habe ich Glück und derzeit ist es mein Beruf, der mich hierher führt.
Als ich am Terminal mit dem Auto einfahre, habe ich das erste Problem. Der Check-In Schalter ist so weit oben, dass ich nicht hinaufsehe. Ich kann das Problem lösen. Schließlich stehe ich nun, da ich diese Zeilen schreibe, zwischen zehntausenden Paketen anderer Ladungen. Mein Auto habe ich als Cargo aufgegeben, eine Kabine kann ich beziehen. Ich bin neugierig, wer von den zwölf anderen Passagieren auch nach Vardø unterwegs sein wird.
3 Comments
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Hi Otto,
ich bin hin und weg über dein Foto mit der Busstation unter dem Highway, gleich neben den Müllcontainern. Oben die Geschwindigkeit des Mainstreams, ausgedrückt in Bewegungsunschärfe, und drunter der Moment des Erkennens seines eigenen falschen Wegs, symbolisiert durch die Umkehrspur als Reifenabrieb. Jetzt weiß ich, warum du so weit gefahren bist. Bloß wegen dieses einen Fotos!
Lieber Werner,
ich freue mich immer wieder wenn Du Bilder kommentierst. Wenn es welche von Dir sind oder von mir kommt natürlich noch ein Spannungselement dazu.
Egal ob Du in meinen Bildern eine Dreifaltigkeit erkennst oder, wie hier, eine Dualität – sofort kommt eine Dimension dazu. Ich mache meine Bilder sehr intuitiv. Trotzdem sind sie oft voller Symbole oder Symboliken. Ich glaube gar nicht, dass die Welt voller Symbole ist. Wir sind aufgeladen damit und assoziieren sie dann hinein. Daher entsteht der Symbolgehalt in uns! Das Bild ist nur ein Mittel.
In letzter Zeit beschäftigen mich solche Symboliken immer mehr. Es gibt einen spannenden Artikel, „Die Rethorik des Bildes“ von Roland Barthes. Dort analysiert er ein Werbefoto der Firma Panzani. Es geht im Wesentlichen um ein Einkaufsnetz gefüllt mit Waren. Der Unterschied zu hier ist natürlich, dass in diesem Panzani Bild alles arrangiert ist, alles gemacht ist.
Doch genau das ist der Punkt: das ist kein Unterschied, sondern eine Gemeinsamkeit! Für mich ist es wesentlich einfacher als für die Werbeleute von Panzani: Ich brauche nichts zu arrangieren, ich brauche nur hinzufahren und Arrangements abzulichten – also den Auslöser zu betätigen. Das Arrangement liegt an der Strasse! Die Bushütte steht dort, man hat Container dazu gestellt, eine Brücke darüber gebaut, sogar Bäume gepflanzt etc. Das haben bereits Andere für mich gemacht! WIR haben es gemacht um genau zu sein. Meine Freude ist es, uns das zurückzuspiegeln.
Manchmal lohnt sich eine lange Reise wegen eines einzelnen Bildes. Vielleicht ist aber einfach jedes einzelne Bild eine lange Reise. Danke für Deinen Kommentar!
Lieber Otto,
ich habe heute am (noch unentschiedenen) Wahltag zum Bundespräsidenten dein Foto einigen Freunden gezeigt und sie um einen Titel zu dem Bild gebeten. Neben einigen TriviLitäten ist zB. gekommen:
Der SPÖ Kurs zur Flüchtlingsfrage
Es ist nie zu spät um umzukehren
Wende (in Anspielung a uf ein mögliches Wahlergebnis)
Also:
Ich halte dieses Foto für ein Jahrhundertfoto. Es ist für die Illustration jeder Trendumkehr, jederÄndering geeignet. Und du hast die Macht darüber, ob du es für das jeweilige Thema zulässt oder nicht. Geh bitte sorgsam damit um!
Ich wollte natürlich niemals sagen, dass nur dieses eine Foto gut ist. Ich hätte dich auch zB. für den Fernfahrer bewundert und für alles, was da auf diesem Gebiet noch folgt. Und für ……….. (fortsetzbar).
Dass nichts arrangiert ist, ist evident. Dass du den Blick für Außergewöhnliches hast, auch.
Liebe Grüße
Werner